Zurück: Der Ruf des Sandes ©ph
WALKABOUT


Während eines Strandspaziergangs erblickte sie direkt zu ihren Füßen einen Kopf im Sand.Kein echter Kopf, vielmehr das Sandbild eines Kopfes. Laut rief er ihr zu: „Hey, bleib bitte stehen, ich bin hier unten, schau mich an, respektiere mich, sonst wirst du mich zertreten!“ Sie hatte es laut und deutlich gehört! Unwillkürlich war sie stehengeblieben und erst das Klicken ihrer Kamera weckte sie auf. Der Sandkopf musterte sie stumm mit seinen großen Augen, und nur das Meer und der Wind waren zu hören. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, sie zweifelte an ihrem Verstand. „Es ist heiß, Sekundenschlaf“, dachte sie, „das gibt es ja, ich habe wohl geträumt.“ Sie beschloss dennoch im Wasser weiterzulaufen.

Neugierig visierte sie den Strand genauer, er zeigte sich mit einem Male verändert. Er war übersät mit Bildern: Landschaften, tanzende Figuren, Tiere, Blumen, Bäume, sie musste sich nicht anstrengen, einfach nur genau auf den Strand sehen, sich darauf einlassen.

Die wenigen Menschen, die ihr an diesem Tag begegneten, hielten sie für verrückt. Es sah aus als ob sie auf Schritt und Tritt ihre Füße fotografierte. Sie wollte jetzt alles einfangen, was sie gefunden hatte, mit der Kamera festhalten, damit ihr nichts verloren ging. Fußabdrücke und Reifenspuren, die Sandbildbilder zerstört hatten, begannen sie zu stören. „Das darf doch nicht wahr sein, so eine Ignoranz, sind die denn alle blind?“ rief sie ärgerlich in den Wind.

Der Sonnenuntergang kündigte sich bereits mit langen Schatten an, als sie sich gedankenverloren auf den Rückweg machte. Vielleicht konnte sie ja den Sandkopf wiederfinden und er würde erneut mit ihr zu sprechen beginnen. Sie hatte so viele Fragen, die sie ihm stellen wollte.

Keine Spur war mehr zu sehen. Seltsamerweise hatten sich auch die Reifenspuren und Fußabdrücke in Luft aufgelöst. Hatte sie geträumt? Sie blieb stehen und betrachtete sich die Fotos in ihrer Kamera. Hier war er! Sie hatte nicht geträumt, den Kopf wirklich gesehen! Es musste doch hier irgendwo gewesen sein!

Ein unheimlicher Eindruck, der Strand sei irgendwie kleiner geworden, bemächtigte sich ihrer. Sie blieb stehen und blickte verwirrt und suchend umher. - Die Flut setzte ein.

Die Wellen umspielten Ihre Füße und mit jeder Welle kamen die Träume des Meeres und flüsterten ihr zu. Im ewigen Rhythmus von Werden und Vergehen hinterließen sie einzigartige Bilder im Sand. Es war klar, diese Galerie der Phantasie war nur für sie bestimmt. Schönheit hatte sie ganz und gar umfangen, sie begann in ihr zu leuchten. Die Sonne nahm sich an diesem Tag unendlich viel Zeit im Meer zu versinken und schenkte ihr liebevoll eine kleine Sekunde Ewigkeit.

Die Kamera baumelte jetzt unbeachtet an ihrer Seite. Sie hatte verstanden, sie brauchte sich nichts mehr zu bestätigen. Ohne zu suchen hatte sie etwas gefunden, das sie in ihrem Leben nie wieder verlassen würde.


© Philipp Heckmann