Shelter
from the Storm / Schutz vor dem Sturm / À l'abri de la tempête
Philipp Heckmann, Ø 70cm, Collage, Buchbinderkarton, # Available
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Die
Kinder hatten Mäc Byte entdeckt. Stundenlang saßen sie mit
dem Computer zusammen und klickten sich durch sämtliche Spiele,
die er kannte. Jason und Jasmin bekamen nicht viel davon mit. Tagsüber
waren sie mit dem Gärtnern, Fischen oder mit sich selbst beschäftigt.
In der Folge klickten Naomi und Nemo auch in den Einstellungen auf alle
möglichen Häkchen und zuletzt auf einen leuchtend blauen Button.
Mäc Byte war
herausgefordert, öffnete das Internet und machte sofort seine Upn´
Downloads im Hintergrund. Er fühlte sich danach um 1000 Jahre älter
und begann unbekümmert und enthusiastisch, den Kindern seine Sicht
der Welt zu zeigen. Das World Wide Web stürmte ungebremst auf Naomi
und Nemo ein: Eierwärmer; Urwaldbrände; Leprakranke; Comics;
Werbung für Pelzmäntel; Robbenschlachten; Kriegsberichte;
Tierbabys; Highways zu Knoten verschlungen bis zum Horizont; der kleinste
Mann der Welt; Chemieanlagen; Puppenkleider; zerfetzte Leichen; Schokoladenfabriken;
Blinddarmoperation; Softeis; Massenpanik; Killing Field; Liebespuppen;
Froschhüpfwettbewerb; Hurrikane; Blasmusik; Schneckenrennen; Demonstrationen;
Naturaufnahmen; Ölkatastrophen; Cinderella; Mikroplastik; Hundefriseure;
Politikerreden; Fernreisen; Zugunglücke; Bubble-Teas; prügelnde
Polizisten; Fußpilzsprays; Sexseiten; Gartenschläuche; Tabellenkolonnen;
Fingernägellackierereien; verhungernde Kinder; Spielzeugroboter;
Kriegsfilme; … Say yes! Say No! Gefällt mir! Mäc Byte
war voll in seinem Element und Naomi und Nemo mussten sich übergeben.
Als Jasmin und Jason nach Hause kamen, saßen
die Kinder gelähmt und kreidebleich vor dem flackernden Mäc
Byte. Jasmin schaltete ihn sofort ab. Erst nach einer Stunde waren Naomi
und Nemo wieder ansprechbar. „Jason, was war denn das?“,
fragte Nemo. „Das war ein World Wide Web Sturm. Er ist sehr gefährlich.
Wer damit nicht umzugehen weiß, kann verblendet, einsam und unglücklich
werden“, erklärte er. „In diesem Onlinesturm geschieht
alles gleichzeitig. Das Schönste vom Schönen und das Schlimmste
vom Schlimmen, das Fröhlichste neben dem Fadesten. Wer sich damit
nicht auskennt, wird vom Netz eingefangen und kommt nicht mehr los.
Ihr seid noch viel zu klein, um so ein elektronisches Unwetter unbeschadet
zu überstehen. Ich werde euch das Internet zu gegebener Zeit Stück
für Stück öffnen. Bis dahin ist Mäc Byte für
euch tabu.“
Im Mondschein entzündete Jason ein großes
Lagerfeuer am Strand. Die Kinder umtanzten es mit lautstarkem Indianergeheul,
bis sie müde wurden und sich an ihre Eltern kuschelten. Als sie
geistesabwesend in die blaugelben Flämmchen der Glut sahen, wusste
Jason, dass ihnen die Computerbilder wiederkehrten. Ablenkend fragte
er in die Nacht. „Gibt es etwas Schöneres als ein Feuer aus
Wurzeln und Ästen? Die Internetbilder, die ihr heute gesehen habt,
sind zwar hell, aber kalt. Hier im Feuer seht ihr lebendes, warmes,
echtes Licht. Es zieht uns magisch an in seiner Unberührbarkeit.
Es beschützt uns vor der Bilderflut des Tages. In ihm sind die
ältesten aller Bilder vereint, man kann sie mit dem Herzen sehen.
Feuer muss kontrolliert abbrennen, sonst verbrennt man sich. Das ist
beim Internet genau dasselbe, man muss es gezielt nutzen, sonst wird
man geblendet. Seht ihr, wie die weichen Formen des Holzes von den Flammen
umarmt werden? Wie sich Wärme und Licht daraus bilden?“ „Für
Fräulein Pauke ist das nur eine Energietransformation“, sagte
Naomi trocken und alle lachten befreit.
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