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Krieg der Welten
War of the Worlds / La guerre des mondes

Philipp Heckmann, 2011
Ø 70cm, Acryl/Pastell, Leinwand auf Hartfaserplatte, Private Sammlung

 

Leseprobe aus dem Buch TagundNachtgleiche ©

   Ohne sonderliche Ermüdung durchstreifte ich eine traumhaft schöne Landschaft mit sanften Hügeln, ausgedehnten Wäldern, Flüssen und Seen. Es war die Zeit der Blüte und die Waldtiere grüßten mich ohne Vorurteile. Ich war beseelt vom Licht und der Wärme des Frühlings. Dennoch überlagerte meine Einsamkeit immer wieder die Liebenswürdigkeiten der Natur. Wie lange war es schon her, dass ich eine menschliche Stimme gehört hatte? Ich wusste es nicht zu sagen.
   Meine Schwermut schien etwas Dunkles anzuziehen, denn Schritt für Schritt näherte sich mir ein dumpfes Grollen aus der Ferne. Binnen weniger Minuten war das Donnern beständig zu hören und wurde stetig lauter. Es war kein Gewitter. Der Himmel war wolkenlos. Als ich mir ein Schlafplätzchen suchte, war ich mir nicht sicher, ob ich bei dem permanenten Lärm einschlafen konnte. Ein bitterer Brandgeruch schwamm durchs Gehölz und Blitzlichter erleuchteten den düsteren Wald. Meine Träume wurden unruhig. Immer wieder schreckten mich laute Donnerschläge auf und verunsicherten mich zusehends.
   Noch bevor die Nacht den Tag gebar, war ich auf den Beinen und folgte alarmiert einem Wildschweinpfad. Ein gelb-grauer, brenzlig riechender Nebel hing zwischen den Bäumen. Das pausenlose Donnern wurde unerträglich. Ich hielt mir die Ohren zu und lief ziellos durch die schwefligen Nebelschwaden. Unerwartet stürzte ich in einen blutroten Fluss. Zum Glück war das Wasser nicht tief, sodass ich zum gegenüberliegenden Ufer waten konnte.
    Ich erstieg die Uferböschung und blieb voller Entsetzen stehen. Vor mir lag eine von Einschlagskratern durchpflügte rauchende Landschaft. Am Horizont sah ich brennende Städte, Explosionen, Granateinschläge und Kampfflugzeuge. Panzer und Truppen kamen auf mich zu. Ich befand mich hinter einer brusthohen Barrikade, aufgeschichtet aus Abertausenden von Büchern. Ein kräftiger Mann lag zwischen Farbeimern. Ich kroch auf ihn zu, schüttelte ihn und brüllte inmitten der Detonationen: „Sind Sie verletzt? Brauchen Sie Hilfe?“ Im Geheul einer Granate verstand ich kaum mein eigenes Wort. Der Mann erwachte und sah mich gelassen an. „Nein, danke“, antwortete er mit einer lauten Bassstimme. „Hilfe brauche ich wirklich nicht, alles ist bestens. Ich komme hier ab und an vorbei und schieße mit meinem Bogen Pinsel voller Farbe auf die Volltrottel da drüben. Ich mache das zur Entspannung. Gestatten, Argos, ich bin Maler.“ Er wollte mir die Hand reichen, aber ich sah ihn nur verdutzt an und schrie, dass wir hier schleunigst verschwinden sollten. Panzer, Truppen und Hubschrauber hätte ich gesehen und sie kämen direkt auf uns zu.
   Argos war bis auf einen Lendenschurz unbekleidet. Er erhob sich, nahm seinen Bogen, tauchte genüsslich einen Pinsel in rosa Leuchtfarbe und legte ihn wie einen Pfeil an die Sehne. Er war jetzt völlig ungeschützt. Ein Sturmsoldat, der schon bedrohlich nahegekommen war, feuerte ziellos mit seinem Maschinengewehr in unsere Richtung. Seine Kugeln wurden nach unten gezogen und schlugen vor den Büchern in die Erde. Argos spannte lächelnd den Bogen und schoss ihm die Farbe auf die Stirn. Wie eine Zielscheibe auf dem Rummelplatz fiel der gute Mann nach hinten und ließ das Gewehr fallen. Er glaubte zunächst schwer verletzt zu sein, zappelte und schrie. Dann betastete er sein Gesicht, bemerkte die rosa Schweinerei auf seiner Haut und verteilte die ölige Leuchtfarbe mit den Händen flächendeckend auf seinem Dienstanzug. Von einer tarnfarbenen Uniform konnte jetzt keine Rede mehr sein, durch den Matsch kriechend zog er sich Hals über Kopf zurück, wobei er von Argos noch einen malerischen himmelblauen Farbtupfer auf den Hintern verpasst bekam. „Freund“, wandte er sich mir zu, „du brauchst keine Angst zu haben, dieser Krieg, wenn er denn einer ist, tobt schon seit Jahrtausenden. Mit Waffen kann niemand unsere Welt erobern, wir sind hinter dem Bücherwall absolut sicher. Du kannst zusehen, wie die Truppen immer wieder in eine andere Richtung zurückgeworfen werden. Wer begonnen hat, die Bücher hier aufzuschichten, kann niemand mehr sagen. Der Wall wird von Tag zu Tag stärker. Wir sind hier vollkommen geschützt durch das gesammelte Wissen. Die da drüben können vielleicht Menschen töten, aber keine Ideen.“
   Ich traute dem Frieden nicht und würde mich jetzt, ob er mitkam oder nicht, diskret aus dem Zielgebiet entfernen. „Lass dich nicht einschüchtern“, brüllte Argos zwischen den Erschütterungen. „Steh auf, schau sie dir an. Ihre Waffen sind wirkungslos. Die Unvernunft hat uns den Krieg erklärt, doch der Sieger steht schon seit Kriegsbeginn fest. Wir brauchen nicht zurückzuschießen. Wir sind ihnen überlegen. Diese Wahnsinnigen führen einen Krieg gegen sich selbst und bemerken es nicht einmal. Erobern kann man Menschen nur, indem man ihre Herzen gewinnt. Lassen wir sie weitertoben. Der einfältige Sturm im Wasserglas ist ohnehin viel zu laut. Ich wollte gerade gehen. Du kannst bei mir übernachten, wenn du willst. Es ist nicht weit von hier.“
   Wir durchwateten den Fluss und nicht lange danach war kaum noch etwas vom Kampfgetöse zu hören. Argos wandte sich an mich. „Siehst du, Kriege kennen nur Verlierer. Die Teilnehmer werden über kurz oder lang von Gevatter Hein im Niemandsland der Geschichte verschluckt. Das Leben geht auch ohne sie weiter. Immer mehr begreifen das. Sie kommen zu uns und retten sich aus dem Irrsinn ihres Daseins. Wird Fremdbestimmung erst einmal erkannt, ist sie leicht zu überwinden. Landsknechte müssen dafür nur zwei Dinge tun. Die Waffen und das Falsche in ihrem Leben von sich werfen. Zurückgekehrt ist, soweit ich weiß, noch keiner.“
   Auf dem Weg zu Argos Haus begannen wir einen heiteren Dialog über das Sein, die Liebe und einige der restlichen Themen. Vom ersten Augenblick waren wir wie Brüder. Es war, wie wenn wir uns schon immer gekannt hätten und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

© Philipp Heckmann