Argos führte mich aus dem Wald hinaus in eine
unfruchtbare Einöde. „Bevor ich ankam, war die Gegend eine
Müllkippe. In meiner freien Zeit habe ich alles auf einen Haufen
befördert und nach und nach verbaut“, erklärte er mir.
„Meine zukunftsorientierten Vorgänger haben hier das australische
Modell umgesetzt”, fuhr er fort. „Ursprünglich bestand
die Landschaft aus Akazienwäldern, die ein Mikroklima bildeten
und das wenige Wasser mit ihren Wurzeln festhielten. Dann kamen die
Farmer und wussten den Boden allemal besser zu nutzen als die Bäume.
Sie sahen die Wälder als ihren natürlichen Feind und bekämpften
sie mit allen Mitteln. Zunächst entschieden sie sich für die
feurige Lösung. Ihre Rinder- und Schafherden haben die restliche
Arbeit geleistet und sämtliche Baumkeimlinge abgefressen. Der Wald
ist nachhaltig weg. Die ersten Jahre ging alles bestens. Das Gras wuchs
üppig zwischen den Baumleichen. Dann begann die Dürre. Um
das Vieh zu tränken, bohrten sie Brunnen und bald wurden immer
Tiefere benötigt. Das Land verbrannte ungeschützt unter der
Sonne und heiße Winde fegten die dünne Humusschicht von den
Sandböden. Als der Regen beharrlich ausblieb und alle Brunnen versiegten,
haben sie fluchtartig ihr Lebenswerk aufgegeben. Nicht unweit liegen
noch massenhaft die Gerippe ihrer verendeten Rinder und Schafe. Die
Spur der Farmer führt entlang der verlassenen Siedlungen nach Westen
in die große Wüste.
Trotz alledem, habe ich etwas gefunden das schon bald
das Leben zurückbringen wird. Nicht unweit gibt es einen unterirdischen
Fluss. Ich habe ihn in einem Höhlensystem entdeckt. Wenn ich ihn
aufstaue, fließt er hierher. Siehst du die große Senke dort
hinten? Sie wird sich in einen See verwandeln. Der Bau meiner Atelierarche
ist fast fertig, ich kann es kaum erwarten, sie in der Wüste schwimmen
zu sehen.
Jetzt ist es nicht mehr weit, wir sind fast da. Hinter dem nächsten
Hügel steht mein Haus.“ Argos deutete in die Wüstenhitze,
in der die Freiheitsstatue am Horizont flimmerte. „Sind wir in
der Nähe von New York?“, wollte ich wissen. „Aber nein,
du wirst schon sehen.“ Wir kamen auf ein großes Areal voller
Schrott. In dessen Mitte stand eine skurrile, komplett aus Altmetall
und Gerümpel errichtete Freiheitsstatue. Eine atemberaubende Konstruktion
aus Telefonkabinen, Rohren, Badewannen, Wassertanks, Straßenlaternen,
Autoteilen und was weiß ich noch allem, ragte in den Himmel. Argos
hatte alles verbaut, was er in die Finger bekommen hatte. „Das
ist meine bescheidene Hütte. Komm rein, hier ist es kühl.
Ich zeige dir das Gästezimmer.“
Das Innere des Hauses überraschte mich angenehm.
Es war klar und hell. Die Wände waren sorgsam verputzt, und mit
Bildern ausgemalt. Argos führte mich eine steile Wendeltreppe ins
Turmzimmer hinauf. „Fühl dich wie zu Hause. Nebenan ist ein
kleines Bad und im Schrank findest du etwas zum Anziehen.“ Argos
blickte etwas mitleidig auf die Lumpen, in die ich gewickelt war. „Ich
besorge uns noch etwas zu essen und bin bald zurück.“
Sofort stand ich unter der Dusche, rasierte mich,
schnitt meine Haare so gut es ging und fand passende Kleidung im Schrank,
anschließend begrub ich feierlich die Reste meines Lodenmantels
im Mülleimer. Vom Fenster aus, es war eine Toilettenbrille, der
Deckel war der Fensterladen, konnte ich Argos beim Ernten in seinem
Treibhaus beobachten. Es war in der Form eines Kürbisses aus Flaschen,
Waschmaschinengläsern und Autoscheiben gebaut. Ich stieg wieder
die Wendeltreppe hinunter in den großen Wohnraum des Erdgeschosses,
setzte mich in einen Sessel, den Argos aus einem alten Weinfass gezimmert
hatte und wartete. Die Einrichtung seines Hauses bestand aus irgendwelchen
Dingen, die ihren ursprünglichen Zweck zugunsten einer neuen Bestimmung
eingetauscht hatten. Von der Decke hing eine Holzplatte an Ketten, die
man herunterlassen konnte. Es war Argos Esstisch. Ihm gegenüber
war ein Wandbild. Es regte mich zwar farblich an, doch dargestellt war
nichts Konkretes.
Ich vertiefte mich in das Gemälde. Die abstrakten
Formen lösten sich bald in sonderbar sinnlichen Empfindungen auf.
Mir war, als hätte ich einen Urwald vor mir. Je mehr ich mich hineinversenkte,
desto eindringlicher wurden diese inneren Bilder. Ich empfand gemalte
Musik. Das Bild kam wie aus einer anderen Dimension. Aus einer Zeit,
in der es die Zeit noch nicht gab. Die flüchtige Gegenwart des
Hier und Jetzt stand still. Ein Eindruck, der kaum in Worte zu fassen
war. Geheimnisvoll und meditativ, überdies träumerisch und
erhebend. All diese Vorstellungen lösten tiefe Gefühle in
mir aus und legten sich sanft über meine wortbehafteten Gedanken.
Es war die Gewissheit einer alles übergreifenden Einheit, die aus
den Formen und Farben sprach. Eine Vision des geordneten Chaos. –
Ein Chaos in Harmonie und Vertiefung. Dieses Sinnbild schien wie von
leichter Hand entstanden, dennoch aus der Nähe betrachtet, sah
ich Abertausende, kraftvoll sichere Pinselstriche, die sich erst mit
gebührendem Abstand zu einer Art Schaufenster verdichteten. Dieses
Fenster gab mir einen Ausblick in ungeahnte Vorstellungswelten und erstrahlte
im Wahren, Schönen und Guten. „Argos ist ein wahrer Meister“,
sprach ich anerkennend und war tief berührt.
„Ach, weißt du“, sagte Argos beim
Essen, „es ist nicht von Bedeutung, ob ich male. Es gibt Wichtigeres
im Leben, zum Beispiel einen Baum zu pflanzen.“
Ich half ihm einige Monde bei der Fertigstellung seiner
Arche und kurz, nachdem wir erfolgreich den unterirdischen Fluss aufgestaut
hatten und die Atelierarche schwamm, drängte es mich weiterzuwandern.
Es war ein schwerer Abschied. Argos begleitete mich noch ein Stück
des Weges, dann umarmten wir uns wortlos. Ein letztes Mal blickte ich
zurück, sein Monument der Freiheit ragte kraftvoll in den weiten
Himmel und davor stand Argos unerschütterlich wie ein Fels und
sah mir nach.
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