Bis zur Mondfinsternis lief ich ohne Unterbrechung
weiter. Der Boden war feucht, ich war todmüde und suchte einen
Schlafplatz. Ich erinnere mich noch, dass ich im Dämmerlicht Geldscheine
auf der Erde liegen sah. Jemand hatte damit eine Spur gelegt und ich
folgte der Fährte durch den Wald. Bald entschwand das Licht und
im Stockdunkeln stieß ich an etwas, das einen Gong von sich gab.
Ich fühlte trockene Blätter unter meinen Füßen,
ließ mich fallen und schlief auf der Stelle ein. Eine Fliege krabbelte
über mein Gesicht und weckte mich bald danach. Ich drehte mich
zur Seite und sah neben mir eine Frau.
Sie erwachte zur selben Zeit und ihr Blick traf mich
wie ein Sonnenstrahl. Lange sahen wir uns tief und furchtlos in die
Augen, bevor der erste Satz von unseren Lippen kam. Es war ein Moment
vollkommener Sinnlichkeit. Ich fasste mich zuerst und fragte nach ihrem
Namen und wie sie hierhergekommen sei.
Alice war vor Kurzem einem unangenehmen Mann begegnet.
Er erzählte, Kostbarkeiten im Wald gelagert zu haben. Sie bräuchte
nur den Geldscheinen auf dem Boden zu folgen und könne sich gerne
bedienen. Er würde sich bei ihr melden. „Ich war neugierig
und bin den Geldscheinen gefolgt. Leider war es schon dunkel, als ich
hier ankam.“ Erst jetzt bemerkten wir, dass wir nicht auf Blättern,
sondern auf Geldscheinen geschlafen hatten. „Hieß der Mann
zufällig Midas?“, fragte ich. „Ja. Kennst du ihn?“
Wir lachten herzhaft, als ich ihr von dem Kartenhaus, dem Karren und
der Projektionsblume erzählte.
„Komm, gehen wir zu mir, ich mach uns was zu
essen“, schlug Alice vor und nahm mich bei der Hand. Sie war vor
ihrer Beamtentätigkeit als Hundesteuerprüferin geflüchtet
und eines Morgens zu Fuß eine beliebige Straße entlang gewandert,
erzählte sie mir, dann hatte sie den One Way entdeckt und schritt
unter der Regenbogenbrücke hindurch und weiter ins Meer. Seitdem
war sie allein. Zur Zeit bewohnte sie einem Mammutbaum ganz in der Nähe.
Wir schritten einen Wildschweinpfad entlang, bis er
sich gabelte. „Hier war ich noch nie. Jetzt weiß ich auch
nicht mehr weiter“, gestand sie mir und bog nach links ab. Kurz
darauf standen wir wieder vor dem Geldhaufen. Wir waren im Kreis gelaufen.
Wir lachten und sahen uns an. Unsere Einsamkeit spiegelte sich in unseren
Augen und trieb uns in die Arme. Wir küssten uns und rannten anschließend
ausgelassen durch den Wald. Den Tag über pflückten wir Früchte
und Beeren, schmückten unsere Haare mit Blumen, badeten außer
Rand und Band in einem Teich und liebten uns. Ihren Mammutbaum fanden
wir nicht, alle unsere Wege führten zurück zum Geldhaufen.
Immer wieder standen wir ratlos davor.
Es bahnte sich unsere erste Streiterei an. Alice wollte,
dass ich die Führung übernahm. „Du bist der Mann, mach
endlich was.“ „Was soll ich denn machen?“ „Uns
endlich hier rausbringen!“ „Woher soll ich den Weg kennen?
Bin ich Hellseher?“ Alice zuckte aus. „Auf dich ist kein
Verlass, da hätte ich auch allein bleiben können.“ Ich
wurde genervt. „Lass mich in Ruhe. Sind wir schon verheiratet
oder wie?“ „Du verstehst mich nicht. Ich brauche einen Partner,
der mir Sicherheit gibt und nicht wie ein Gockel ziellos im Wald herumrennt.“
„Such dir doch deinen Supermann. Hier hast du ja genügend
Auswahl.“ Hätten wir uns nur nicht aufeinander eingelassen,
Wut kochte unkontrolliert in uns hoch. „Nur weil ich eine Frau
bin, redest du so mit mir.“ „Warum kannst du nicht endlich
still sein.“ „Von einem Versager wie dir lass ich mir gar
nichts sagen.“
Wir verstrickten uns immer weiter in unsere Unbeherrschtheit,
blieben aber kleinmütig beieinander. Jeder Weg, den wir einschlugen,
führte im Kreis. Im Dämmerlicht sprachen wir nicht mehr miteinander,
und wie wir zum letzten Mal im Stockdunkeln zur Lichtung kamen, ließen
wir uns wortlos in die Geldscheine fallen, drehten uns den Rücken
zu und schliefen traumlos ein.
Unablässig kehrte unser Drama wieder. Wir erwachten, verliebten
uns flüchtig, waren ausgelassen und fröhlich, verbrachten
die Zeit mit der Suche nach einem Ausweg und endlosen Streitereien,
bis wir uns erneut anschwiegen. So ging es Tag für Tag, Wochen,
Monate, vielleicht Jahre, wir waren uns dessen nicht bewusst.
In einem zwielichtigen Moment, ganz in der Nähe
des Geldhaufens und inmitten des schönsten Gezänks, stolperte
ich über eine Wurzel und prallte gegen einen Kasten, der einen
Gong von sich gab. Er war von Schlingpflanzen verdeckt und entpuppte
sich bei näherer Untersuchung als Standuhr. Eine Standuhr ohne
Zeiger. „Als ich hierher kam, bin ich an etwas gestoßen
das gegongt hat“, fiel mir ein. „Ich habe auch einen Gong
gehört“, erinnerte sich Alice aufgeregt. Das konnte der Schlüssel
sein, um aus unserer Hoffnungslosigkeit herauszufinden. Die Uhr war
weder zu bewegen, noch aufzuziehen, konnte nicht zurück oder vorgestellt
werden. Sie war eine echte Standuhr.
Wir untersuchten den Waldboden und fanden Fußabdrücke
neben der Uhr. Es waren die unsrigen. Vielleicht konnten wir die Uhr
austricksen. Wir wollten versuchen in unseren eigenen Fußstapfen
rückwärts an der Uhr vorbeizugehen. Alice machte den Anfang
und verschwand rücklings in den Büschen. Ich tat es ihr gleich
und fand mich bald auf dem Pfad wieder, den ich gekommen war. Alice
war wie vom Erdboden verschluckt. Wir sollten uns nie wiedersehen.
Völlig ausgelaugt legte ich mich nieder. „Wie
lange diese Zeitschleife uns wohl gefangen hielt? Eine endlose Rolle
in einem schlechten Film lag hinter mir. Obwohl wir es nicht brauchten,
war unsere Begegnung durch nichts anderes als durch wertloses Geld zustande
gekommen. Wir hatten uns davon verführen lassen und waren unbedarft
seiner Fährte gefolgt. Wir sahen nicht, dass es der Auslöser
unserer Tragödie war. Wir hätten das Geld verbrennen sollen,
stattdessen schliefen wir jede Nacht darauf.
„Hoffentlich hat diese Lektion gesessen und
meine selbst verschuldete Verblendung verfolgt mich nicht im Schlaf“,
dachte ich, bevor ich mich ins Moos bettete. Ich konnte unbesorgt sein,
weder von Alice noch von der Zeitschleife träumte ich, sondern
von der Wiederentdeckung des entwichenen Traumlandes, in dem es federleicht
ist, unmissverständlich und anspruchslos zu lieben.
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